Zwischen Haus und Stadt

Zwischen Haus und Stadt

Die Stadt besteht aus Häusern. Das zumindest galt eine geraume Zeit. Heute ist nicht immer so klar, wo das Haus aufhört und wo die Stadt beginnt.

(… vorher) Jede Epoche hat ihre spezifischen Stadtprinzipien hervorgebracht: Der Blockrand der Gründerzeit, die Innenhoftypologie der mittelalterlichen Kernstadt und die moderne, offen durchgrünte Stadt. Sie alle zeigen ein klares Verhältnis zwischen Gebäude und Stadtstruktur. Das einzelne Haus als solches ist erkennbar. Es bildet mit anderen Häusern zusammen jeweils eine grössere Struktur und diese wiederum bilden die gebaute Stadt. Das frei stehende Haus ist besonders deutlich durch die Gebäudeabstände gekennzeichnet, aber auch in der geschlossenen Bauweise besteht keine Schwierigkeit das einzelne Haus zu bestimmen. Die Fassadenfarbe, die Ausbildung der Gewände, der Traufschmuck und nicht zu Letzt der Eingang machen das Haus in der Reihe zu einem klar definierten Gegenstand. Zumindest ist das bis vor ein par Jahrzehnten so gewesen.

Grosse Wohnstrukturen, welche sich nicht mehr in einzelne Häuser unterscheiden lassen, verbreiten sich seit dem Beginn des industriellen Bauens um 1900. Heute sind im Zuge von Verdichtungsbestrebungen die kleinteiligen Siedlungen der Fünfziger- und Sechzigerjahre in den Fokus des grössenmassstäblichen Wandels gerückt. Die Zweispänner mit flach geneigtem Satteldach sind am Ende ihres Lebenszyklus. Eine weitere Sanierung macht im Hinblick auf die Wohnungsgrössen und die Bausubstanz wenig Sinn. Doch ausschlaggebend sind schlussendliche meist die brach liegenden Ausnützungsreserven. Die Dreigeschosser werden nach Möglichkeit mit Sechs- bis Achtgeschossern ersetzt. Die Veränderung bringt aber nicht nur einen anderen Massstab in die Quartiere. Mit dem Anwachsen der Gebäudevolumen fällt das Verhältnis zwischen der übergeordnete Struktur der Häusergruppe und dem Haus in sich zusammen.

Was damit gemeint ist lässt sich exemplarisch an der Wohnsiedlung Triemli der Baugenossenschaft Sonnengarten in Zürich zeigen: Das 2011 fertig gestellte Projekt in Albisrieden, an der Grenze zum Quartier Friesenberg, besteht aus zwei langen, leicht geknickten, bis zu achtgeschossigen Baukörpern. Die beiden Kolosse wirken wie versteinerte, prähistorische Riesenschlangen. Dieser Eindruck wird durch die einheitliche Materialisierung und die gleichmässige Fassadenausbildung unterstrichen. Die Bauten sind ausdruckstark, auch wenn sie für einen Wohnbau äusserst brutal wirken. Zusammen umschliessen sie einen grossen Grünraum und bilden so eine Einheit. Die Architekten von Ballmoos Krucker erreichen mit der Materialisierung und Formgebung ein in sich schlüssige Architektur. Das Hauptaugenmerk des Entwurfs liegt den auch auf einem starken Ausdruck der Einheit und nicht auf der Ausbildung von individuellen Teilen im Ganzen. Die Eingänge sind Eingänge in das grosse Gebilde und nicht zu einem einzelnen Haus. Von Aussen ist eine Unterscheidung kaum möglich, geschweige den gewollt. Die einzelne Wohnung zeichnet sich an der Fassade nicht erkennbar ab. Wo sie beginnt und wo sie endet erschliesst sich nur dem Bewohner und dem Planer. Natürlich muss es auch in einer solchen Grossform einzelne Treppenhäuser geben. Doch die daraus abzuleitenden Einheiten sind nur Einheiten in der Funktion, nicht in ihrer architektonischen Ausformulierung.

Aus städtebaulicher Sicht ist diese gestalterische Haltung entscheidend. Die Definition des einzelnen Hauses entfällt. Das Ganze ist nicht additiv zusammengesetzt, sondern eine durchgängige Struktur. Damit haben wir es mit einer eigenständigen Typologie zu tun. Obschon sich die Siedlung in ihrer Konstellation wie ein Blockrand gebärdet, fehlen die entscheidenden gestalterischen Elemente zu dessen Lesart. Es fehlt das Haus als solches und damit fehlt auch die Notwendigkeit eines Rahmens, welcher diese Einzelteile zusammenfasst. Die Siedlung kann am ehesten als grosses Baugebilde verstanden werden – weder Haus noch Blockrand. (Weiter bei …)