Säkulares Chaos
Grosse Gebäude in einer Ordnung sind kaum problematisch – und was ist wenn Chaos herrscht??! – liiiiihhhhh, das Chaos!!!
(… vorher) Mit der Ausdehnung der Siedlungsfläche ist auch die Konkurrenz unter den Quartieren in die Stadt gekommen. Verschiedene kulturelle Ausprägung, verschiedene bauliche Substanz und verschiedene Ordnungsentwürfe prägen die Grossstadt. Obschon es meist einen klaren Kern gibt, der auf die ganze Stadt ausstrahlt, reicht ein Zentrum nicht mehr aus. Zu weit weg ist es von den neuen Quartieren. Eingemeindete Dörfer verfügen bereits über ein Zentrum und Neugründungen kommen auch nicht ohne aus. Mindestens eine eigene Kirche wird als Notwendigkeit erachtet. Auch öffentliche Nutzungen funktionieren besser, wenn sie in angemessener Reichweite liegen. Gewisse Funktionen bleiben dem Hauptzentrum vorbehalten: Regierungsgebäude, Bahnhöfe, Märkte, usw. Alles andere ist auf die Quartiere verteilt. Die bislang einfach geordnete Stadt wird zu einem komplexen Konglomerat.
Dabei kann aber noch nicht von Chaos gesprochen werden. Die Teilbereiche haben ein eigenes Zentrum und meist auch eine erkennbare Bebauungsstruktur. Die Strassenmuster bäuerlicher Dorfkerne oder gründerzeitliche Blockränder lassen sich ohne weiteres erkennen. Unterstützt werden diese Stadtlayouts durch die Baumethoden und Baustile der jeweiligen Epoche aus der sie stammen. Das ganze Gebiet mag ein Flickwerk sein, aber innerhalb der einzelnen Teile besteht eine erkennbare Ordnung.
Chaos entsteht dann, wenn sich die Bedürfnisse der Teile und der Stadt als Gesamtgebilde zu überlagern beginnen. Publikumsintensive Bauwerke, die Anspruch auf gesellschaftliche Relevanz erheben, werden oft nachträglich in eine Stadt eingepflanzt. Sei es, weil sie neue Nutzungen beinhalten, die es zum Zeitpunkt der Erstellung der Stadt noch nicht gab, oder sei es weil die Lebensdauer des alten Bauwerkes dem Ende entgegen geht und der Ersatzbau mit dem Wachstum der Stadt mithaltend, ebenfalls mehr Platz benötigt. Das beste Beispiel hierfür ist das Fussballstadion. Es soll mit einer Mantelnutzung neu erstellt werden. Die Kombination des Sportvergnügens mit der Shoppingmall scheint ein wirtschaftlich erfolgversprechendes Konzept zu sein. Einen Ort für ein solches Projekt zu finden ist hingegen schwierig. Überall, wo so ein Grossbau zu stehen kommen könnte, gibt es bereits Anwohner. Dort macht die Angst vor Schattenwurf auf dem eigenen Sitzplatz die Runde. Dort zieht das Erschauern vor randalierenden Hooligans im Vorgarten unheilvolle Kreise.
Mindestens so tiefgreifend, wie die Auswirkung auf die Anstösser, wirkt sich aber auch die städtebauliche Unpässlichkeit aus. Die Einpflanzung eines Stadions in das Stadtquartier ist ein Ding der Unmöglichkeit. Zum einen, weil es auf Grund seiner Grösse nur mit der Brechstange und nicht mit dem Schuhlöffel geht. Zum anderen, weil das Stadion im engeren Sinne kein Teil des Quartiers ist. Streng genommen ist es nicht einmal Teil der Stadt. Ein Stadion mit seinen Sportanlässen hat regionalen bis überregionalen Charakter, den die Stadt für sich beansprucht. Selbstverständlich ist es der heimische Fussballclub, der hier spielt. Doch schon die Fangemeinde bezieht sich nicht nur auf das Stadtgebiet. Nicht zuletzt – der Gegner kommt immer von Ausserhalb. Das Stadion ist demnach ein regionales Zentrum innerhalb der Stadt, welches dort nur aus dem Anspruch der Stadt nach regionaler Bedeutung angesiedelt wird.
Die Verbindung zur Stadt ist keine enge. Meist ist der Berührungspunkt zwischen Kommune und Stadion auf die Haltestelle des öffentlichen Verkehrs und die Autozufahrt beschränkt. Man geht in eine abgeschlossene Box und konzentriert sich auf das Spiel. Das Stadion ist eine unabhängige Zelle. Viele Neubauten werden daher auch vor den Stadttoren erstellt. Der Versuch, das Grossbauwerk dennoch in die Stadt einzusetzen, ruft das Chaos hervor. Selbst wenn es gelingen sollte die formale Struktur der Stadt nicht gänzlich zu negieren, ein natürliches Zentrum wird das Bauwerk trotz seines Publikumsreichtums nicht. Denn die Sportstätte passt sich nicht der Ordnung des Quartiers an, sondern stellt seine Ordnung unvermittelt jener des Quartiers entgegen. Es kann nur seine regionale Bedeutung ausdrücken. Es kann sich nur auf seine grossräumig verteilte Interessengruppe ausrichten.
An grossen Gebäuden wie den Stadien zeigt sich, wie kaum an andere Stelle, das Chaos der Stadt. Diese Gebäude sind nicht wie die Kirchen Kernpunkt einer lokalen Gemeinschaft, sondern Teil überregionaler Interessen. Räumlich kommt hier zusammen, was funktional nicht verbunden ist. Hier überlagern sich Ordnungen, die sich widersprechen. Das Ergebnis ist ein chaotischer Zusammenstoss. (Weiter bei …)