Abgeschlossenheit, Rückzug, Intimität

Abgeschlossenheit, Rückzug, Intimität

(…vorher) Die natürliche Nähe der Begriffe Abgeschlossenheit, Rückzug und Intimität darf nicht darüber hinweg täuschen, dass sie sich gegenseitig nicht bedingen. Abgeschlossenheit zieht nicht automatisch Rückzug nach sich und dieser sorgt nicht zwingend für Intimität.

 

Die drei Begriffe, die hier im Mittelpunkt stehen, teilen sich oft denselben Diskurs. Wo sie auftauchen geht es meist um einen Haupt-Wesenszug der Architektur. Sie drücken das Geborgen-Sein, das Aufgehoben-Sein, das Umschlossen-Sein, die Sicherheit und Eigenständigkeit aus. So nahe wie sich diese Wörter in der Beschreibung solcher Phänomene kommen können, so gross ist die Gefahr, dass sie als Synonyme verwendet werden. Tatsächlich drücken die Begriffe Sachverhalte auf völlig unterschiedlichen Ebenen aus: Abgeschlossenheit beschreibt ein räumliches Verhältnis und kann mit Fug und Recht als architektonisch bezeichnet werden. Rückzug ist ein menschliches Bedürfnis, gewissermassen eine Anforderung an die Architektur aber keine Eigenschaft derselben. Intimität ist eine menschliche Empfindung, welche durch eine Handlung hervorgerufen werden kann aber nicht durch die Architektur.

Ähnlich wie das Private, ist auch das Intime nicht nur durch den Rückzug in seine eigenen vier Wände zu bekommen. Ein sehr persönliches, freundschaftliches Gespräch in einer Bar kann denselben Effekt auslösen. Ob wir uns dabei in einer abgedunkelten Ecke einer kleinen, schummrig beleuchteten Kneipe oder einer lichtintensiven Szene-Lokal befinden spielt nur auf Grund persönlicher Präferenzen eine Rolle. Objektiv gesehen ist es an beiden Orten gleichermassen möglich eine intime Erfahrung zu haben.

Wikipedia beschreibt Intimität als „Zustand tiefster Vertrautheit“. Sie herrscht, nach dem Weblexikon, in der Intimsphäre – einem persönlichen Bereich, der durch die ausschließliche Anwesenheit bestimmter Personen definiert ist. Der Brockhaus beschreibt diese Intimsphäre als Bereich des Menschen, der für die Umwelt tabuisiert ist. Beide Nachschlagewerke weisen also darauf hin, dass es einer gewissen Abgeschlossenheit bedarf um Intimität hervor zu rufen. Allerdings steht die räumliche Abgeschlossenheit dafür nicht im Vordergrund. Der Brockhaus schreibt die Abgeschlossenheit allem voran der psychischen Ebene zu. Die Sphäre wird dabei durch Takt, Scheu oder Scham geschützt. Die Inhalte dieses abgeschlossenen Bereiches können laut Brockhaus sehr vielfältig sein. Intimität kann im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Beziehungen, religiösen Gefühlen, finanziellen Angelegenheiten, seelischen oder körperlichen Merkmalen, Leiden oder Krankheiten wichtig werden. Welche Bereiche, so der Brockhaus weiter, der Intimität angehören ist jeweils vom Kulturkreis, der Schichtzugehörigkeit und nicht zuletzt einer individuelle Note abhängig. Das Wort Sphäre darf also nicht als eine Art physikalischer Raum verstanden werden. Mit Sphäre ist die Gedankenwelt des Individuums und dessen Interaktion mit anderen Individuen gemeint. Die Bildung einer solchen Sphäre ist demnach nur vom Einschluss oder Ausschluss der jeweiligen Personen abhängig. Intimität zwischen mehreren Personen ist dabei ein geistiges Konstrukt, das auf dem sprachlichen und gegebenenfalls körperlichen Austausch basiert. Die Räumlichkeit um die Personen vermag einen solchen Austausch zwar zu begünstigen, gibt es doch bessere und schlechtere Orte um sich nahe zu kommen. Dennoch ist der Aufbau einer solchen Nähe durch schlechte Voraussetzungen nicht unmöglich. Selbst in Mitten einer Schar fremder Menschen kann es intime Momente geben. So lassen sich am Flughafen Tag für Tag Begrüssungsszenen beobachten, die alle Merkmale der Intimität aufweisen.

Intimität kann keinem spezifischen Ort zugeordnet werden. Mit der architektonischen Ausformulierung ist das enge Zusammensein von Menschen nicht zu erzwingen. Bestenfalls lässt sich mit baulichen Mitteln ein solches Zusammentreffen entsprechend untermalen. Es ist daher sinnvoll zwischen den verschiedenen Ebenen, also der räumlichen Eigenschaft, dem menschliches Bedürfnis und der menschlichen Empfindung, klar zu unterscheiden. (Weiter bei…)