Öffnen vs. Veröffentlichen
Das Wort Öffentlichkeit kann auf ganz verschiedene Arten verstanden werden. Nützlich ist es jedoch nur, wenn alle dasselbe meinen, wenn sie das Wort verwenden.
(… vorher) Die These, Öffentlichkeit bezeichne den relevanten Austausch von geistigen Positionen innerhalb einer Gruppe oder Gesellschaft, liegt zunächst nicht auf der Hand. Der Begriff teilt sich schliesslich seinen Wortstamm auch mit dem Wort „Offenheit“. Unter Offenheit wird allgemein die freie Zugänglichkeit verstanden – jene des Blickes und jene des Körpers. Man kann dort hinsehen und man kann dort hingehen. Diese Auslegung ist auf den ersten Blick sinnvoll. Ist doch Zugänglichkeit eine wichtige Grundlage für das Zusammenkommen der Menschen. Allerdings unterliegt dieser Gedanke einem Trugschluss. Zugänglichkeit ist zwar eine wichtige Vorbedingung für das Gemeinschaftsleben, ihr Kern ist damit aber nicht beschrieben. Die reine Möglichkeit sich mit anderen Menschen auseinander setzen zu können, heisst nicht, dass dies auch getan wird. Eine Gemeinschaft bildet sich nur dann, wenn ein ernstzunehmender Austausch stattfindet.
Nehmen wir dennoch an, wir wollten nur durch Offenheit eine Gemeinschaft erzeugen. In diesem Falle würden wir einen Ort schaffen, der sichtbar und einsehbar ist, an den jede Person hingelangen kann, in dem sich jede Person äussern darf und in dem sich alle Personen respektieren. Ein solcher Ort wäre der Inbegriff von Freiheit und Transparenz. Was wir hier beschrieben haben, trifft auf viele Orte zu – auf einen Stadtplatz, eine Allmend oder, um es ein bisschen einfacher zu halten, auf eine Parkbank. Auf einer solchen Parkbank setzen sich viele unterschiedliche Menschen. Die Möglichkeit, dass sie miteinander ins Gespräch kommen ist gegeben, doch die Wahrscheinlichkeit ist nicht immer gleich hoch. Ob sich zwei Freunde neben einander setzten oder zwei sich völlig unbekannte Personen, hat eine grosse Auswirkung darauf, ob sich eine Diskussion ergibt. Auch das kulturelle Umfeld, in dem sich die Personen bewegen hat einen Einfluss darauf, ob eine Begegnung entsteht oder nicht. Im Schweizer Mittelland ist dies zwischen Fremden eher unwahrscheinlich. Falls man sich wieder erwarten dennoch austauscht, werden sich die Mehrheit der Gespräche über die Art der Aussicht oder die Beschaffenheit der Witterung drehen. Vielleicht besprechen sich zwei Hundehalter auch über ihre mitgeführten Haustiere. Darüber hinaus ist man bemüht dem Mitmenschen nicht mit aufdringlichen Fragen zur Last zu fallen.
Die reine Zugänglichkeit des Ortes bewirkt kaum einen konstruktiven Austausch zwischen mündigen Bürgern, sondern einen Austausch belangloser Floskeln zwischen Privatpersonen. Ohne diesen Austausch kann aber kaum von einer Gemeinschaft mit gemeinsamen Zielen gesprochen werden. Das Thema des täglichen Wetterberichtes steht nicht mit dem Begriff der „öffentlichen Meinung“ in Verbindung.
Offenheit bringt nicht zwingend Öffentlichkeit mit sich und dies in zweierlei Hinsicht. Einerseits als Offenheit der räumlichen Gegebenheiten und deren gesellschaftlicher Normierungen, andererseits als Offenheit im Diskurs zwischen Menschen. Auf beiden Ebenen reicht Offenheit alleine nicht aus. Öffentlichkeit setzt Inhalte voraus, die ausgetauscht werden müssen. Öffentlichkeit im Sinne der öffentlichen Meinung bezieht sich denn auch weniger auf das Wort „offen“, sondern auf das „Veröffentlichen“, das im Wort Öffentlichkeit mitschwingt. Es ist das „Kundtun“, das „Publizieren“ das im Vordergrund steht. Es handelt sich hier aber nicht um eine private Flüsterei, sondern um eine Bekanntmachung an möglichst viele – an ein Publikum. Wenn wir aber Öffentlichkeit im Sinne von „veröffentlichen“ verstehen und damit den Diskurs in den Vordergrund gerückt sehen, dann darf uns der „relevante Austausch von geistigen Positionen innerhalb einer Gesellschaft“ als gut gewählte Begriffserläuterung gelten. (Weiter bei…)